In diesen seltsamen und für viele schwierigen Zeiten bieten viele Restaurants Essen zum Mitnehmen an. So auch das Sosein, ein inzwischen mit zwei Sternen ausgezeichnetes Restaurant im fränkischen Heroldsberg. Ich war im Mai 2016 dort, ein halbes Jahr vor dem ersten Stern. Neben der wirklich exzellenten Küche ist mir vor allem die Philosophie in Erinnerung geblieben. Respekt vor der Natur und den Menschen — nichts vergeuden und ein fairer Umgang miteinander. Wenn am Ruhetag mal geschlachtet wird, ist dafür an einem anderen Tag der Woche zu. So sollte es eigentlich sein, und doch sieht es in der Gastronomie meist anders aus… Die Küche selbst ist, wenn man es kurz machen will, das Prinzip der „Nordic Cuisine“ übertragen auf Franken. Möglichst viel selbst angebaut, selbst konserviert, viel fermentiertes, Einkauf bei lokalen Produzenten, wenig bis keine Lebensmittel von weit her. Immer saisonal, im Winter und frühen Frühjahr also vieles aus dem Vorrat. Die Gerichte bei meinem Besuch waren recht puristisch, nicht mit 200 Komponenten, sondern reduziert auf ein Kern-Produkt und ein paar Begleiter. Soweit zur Einführung, mehr zur Philosophie lässt sich, wenn gewünscht, auf der Homepage nachlesen.
Nun also zurück zum „Sosein to go“, das ich aus gutem Grund „Sosein at Home“, oder auch 2-Sterne-Küche für Zuhause nennen würde. Abzuholen gibt es nämlich eine große Kiste mit den Hauptzutaten für fünf Gänge des aktuellen Menüs, kein fertiges Essen. Gekocht werden muss selbst, als Anleitung dient ein kleines Heftchen mit Beschreibungen der Zutaten und ein Video auf Instagram, in dem erklärt wird, was Felix Schneider und sein Team damit gemacht hätten. Bestellt werden kann die Box immer freitags, abgeholt werden dann die Woche darauf. Neben dem offensichtlichen Aspekt, dass auf diese Weise wenigstens etwas Geld in Corona-Zeiten verdient wird, hat das Ganze auch den ganz praktischen Hintergrund, dass die teilweise vor einem Jahr vorbereiteten Zutaten jetzt bereit sind und verbraucht werden müssen. Im Karton befinden sich als Isolation Matten, die mit Heu gefüllt sind. Dazu wiederverwendbare Kühlakkus. Damit hält die Kiste erstaunlich lange kalt, wir haben sie schon als Kühlbox einen halben Tag lang verwendet und es war immer noch kühl innen.
Bei Box #2 habe ich zugeschlagen, da mich die Zutaten angelacht haben. Hier nun also unser Menü — unsere Interpretation des „Vom Blühen und Sprießen“-Sosein-Menüs im April 2020.
Brotzeit
Zum Start eines jeden Menüs im Sosein gibt es das selbst gebackene Brot mit gereifter Butter. Das Brot besteht hauptsächlich aus Weizen, die Hefe ist selbst aus Most gezüchtet, und der Teig wird zwei Tage lang gereift bevor gebacken wird. Man muss im Restaurant sehr aufpassen, dass man sich nicht am Brot überfuttert, denn es ist wirklich sehr gut und inzwischen sicher eines der Markenzeichen des Sosein. Nachdem wir die Box am Donnerstag geholt hatten, das Menü aber erst am Samstag zubereitet haben, haben wir das Brot nochmal im Ofen aufgebacken. Die dunkle Stelle geht auf uns. 😉 Warm und knusprig war es fast wie frisch. Die Butter ist eine selbst hergestellte Sauerrahmbutter, die zwei Monate mit Koji-Ferment gereift wird. Koji ist der Schimmelpilz, mit dem Sojasauce, Misopaste, Sake und andere Dinge der japanischen und koreanischen Küche hergestellt werden. In letzter Zeit ist er auch für andere Fermentationen entdeckt worden, Rodolfo Guzmán vom Boragó ist auch ein großer Fan. Bei Butter erschließt sich uns allerdings leider der Nutzen nicht so wirklich, sie schmeckt unserer Meinung nach hauptsächlich wie Butter, die länger im Kühlschrank vergessen wurde…
Zum Brot gibt es passend die „Brotzeit“, hier eine Auswahl von Schinken und Räucherfisch sowie Rettiche. Bei Box #1 gab es auch Käse dazu, bei #2 leider nicht. Daher haben wir noch zwei Weichkäse aus unserem Vorrat dazu gesellt, Käse gehört einfach zu einer ordentlichen Brotzeit. Der erste Schinken (links oben) ist ein Schulterkochschinken vom Wollschwein (Mangalitza). Wollschweine haben einen sehr hohen Fettanteil, was dem Geschmack sehr zugute kommt. Der Schinken war fein! Daneben gab es einen 2 1/2 Jahre trocken gereiften Keulenschinken, der sehr viel Ähnlichkeit mit anderen Vertretern dieser Art wie Jamón Ibérico oder Parmaschinken hatte. Der geräucherte Störbauch ist nicht nur sehr gut, sondern auch Teil der „alles verwerten“-Philosophie. Der fettere Bauch wurde geräuchert und zur Brotzeit gereicht, das Filet gibt es später als Hauptgang. Apropos „alles verwerten“ — aus den Blättern der Radieschen und Eiszapfen haben wir übrigens am Sonntag eine Suppe gemacht. 😉
Zur Brotzeit waren auch noch zwei Flaschen Landbier von Orca Brau (sic!) aus Nürnberg in der Box. Eine davon haben wir zum Essen geöffnet. Ein sehr fruchtiges, erfrischendes Bier. Könnte man sich sehr gut an einem heißen Abend auf der Terrasse vorstellen. Ansonsten sind wir beide halt eher Weintrinker, daher keine tiefergehende Betrachtung des Bieres an dieser Stelle.
Salat
Als zweiter Gang folgt ein Kräutersalat mit Emu-Ei. Die Liste der Wildkräuter, die dafür gesammelt wurden, ist beachtlich und in der Bildunterschrift aufgeführt. Zwischen der Auflistung im Begleitheft und der Aufzählung im Video gab es ein paar Unterschiede, ich habe hier mal die Liste aus dem Video übernommen. Mit Wildkräutern ist es immer so eine Sache. So einige schmecken einfach nach grünem Blatt, andere sind wahre Geschmacksbomben. Alles in allem war der Salat eine spannende Entdeckungsreise, wir haben teilweise mit den Fingern die einzelnen Kräuter heraus gefischt und nacheinander verkostet. Für das Dressing gab es einen selbst angesetzten Cassis-Essig dazu, der 2019 aus schwarzem Johannisbeersaft spontan vergoren angesetzt wurde. Sehr fruchtig, sehr fein! Wir haben ihn mit Distel- und Rapsöl, etwas Zucker, Salz und Pfeffer kombiniert.
Das halbe Emu-Ei kam bereits wachsweich gegart in der Box an. Ehrlich gesagt schmeckte es wie ein gutes, kräftiges Hühnerei. Optisch ist die Schale natürlich ein echter Hingucker und steht jetzt gesäubert in der Vitrine. Wir fragen uns allerdings, was es mit dieser gallertartigen Masse zwischen Schale und Eiweiß auf sich hat. Die schmeckte weder gut, noch war die Konsistenz einladend… Ist das eine Besonderheit von Emu-Eiern?
Die Essensbegleitung für den Salat und den Rest des Menüs war der 2010 Saar Riesling von Van Volxem. Vor einiger Zeit sind drei Flaschen davon im Keller aufgetaucht, die anscheinend in Vergessenheit geraten waren. Ich hatte wenig Hoffnung, ein 10 Jahre alter, nicht billiger aber auch nicht teurer Weißwein… Die erste Flasche, kurz nach dem Fund geöffnet, war eine echte Offenbarung! Noch immer präsent, fruchtig, keinerlei Sherry-Noten oder bräunliche Färbung. Faszinierend, und das absolute Gegenteil zum 13 Jahre alten, verwelkten Châteauneuf-du-Pape, der im gleichen Zug aufgetaucht ist (und das doppelte kostet). 😞 Die zweite Flasche durfte das Sosein-Menü begleiten und machte eine exzellente Figur dazu!
Risotto
Für diesen Gang befanden sich in der Box drei Zutaten: Morcheln aus den Isar-Auen, eine fermentierte Würzsauce aus krauser Glucke, und fermentierter, getrockneter Waldmeister. Im Video wurde empfohlen, daraus ein Nudelgericht oder ein Risotto zu kochen. Wir haben uns für letzteres entschieden und ein Morchelrisotto mit Zwiebeln, wenig Knoblauch, einer Karotte und Kalbsfond gekocht. Und mit Sahne! Die Würzsauce wird im Begleitheft als helles Shoyu, im Video als Garum bezeichnet. Ist am Ende auch das Gleiche, eine salzig fermentierte Sauce. Hier eben nicht aus Soja (Shoyu) oder Fisch (Garum) sondern aus der krausen Glucke (einem Pilz). Die Morcheln hatten leider recht wenig Eigengeschmack, was vielleicht auch an der Zeit zwischen Ernte (irgendwann Anfang der Woche) und Verwendung (Samstag) liegen könnte. Dafür war der fermentierte und getrocknete Waldmeister, der gemörsert über das fertige Risotto gestreut wurde, eine fantastische Entdeckung. Dieses Aroma! Wir haben ihn zu anderer Gelegenheit auf ein Sauerrahm-Eis gestreut, auch da machte er eine exzellente Figur.
An dieser Stelle legten wir erst mal eine Pause ein, drei von den fünf Gängen waren als Abendessen genau richtig. Der Rest des Menüs folgte aus logistischen Gründen am Montag.
Stör
Zum Hauptgang wurden alle Zutaten mitgeliefert: Das Filet eines nach der Ikejime-Methode geschlachteten Störs, das zwei Wochen gereift wurde. Da bei dieser Schlachtung jegliche weitere Muskelaktivität beim Fisch unterbunden wird, kann er wie Fleisch „abgehangen“ werden ohne schlecht zu werden. Das Ergebnis ist ein butterzartes, geschmacksintensives Erlebnis. Außerdem waren junge Triebe vom Raps, Kellertriebe von Rüben (Pastinaken und Karotten) und Austernkraut dabei. Kellertriebe entstehen, wenn man Rüben in feuchtem Sand im Keller lagert. Dann treiben sie irgendwann im Frühjahr aus — haben wir zufällig und unabsichtlich selbst auch vor kurzem gezogen. Als Brühe war eine geröstete Stör-Dashi dabei, die mit Kaviar-Miso abgeschmeckt wurde. Die Empfehlung im Video war, den Fisch in 1-2 mm dünne Scheiben zu schneiden und 30 s in der 85° heißen Brühe zu garen. Anschließend wie eine Brühe mit Einlage anrichten. Uns hat sich nicht ganz erschlossen, wofür der separate Gar-Schritt gut ist. Wenn die Teller vorgewärmt sind, der Fisch hinein gelegt wird, und dann die heiße Brühe darüber kommt, gart er genauso und man spart sich die extra Pfanne. So haben wir es dann auch gemacht: Die Raps-Triebe kurz in Butter angebraten, Fisch und Raps in warme Teller gelegt, und die Brühe angegossen. Zum Schluss mit dem Austernkraut und den Rüben-Trieben dekoriert. Dieser Gang war definitiv das Highlight des Menüs! Alles sehr stimmig und zueinander passend. Die Brühe schmeckte wie eine sehr gute japanische Suppe, wurde aber eben mit einem Stör angesetzt.
Dessert
Für das Dessert wurden vier Stängel Rhabarber, ein Jogurt aus Schafs-, Ziegen- und Kuhmilch, eine Melasse aus Zuckerrüben, Blütenpollen, die Blüten von Zierkirsche (rosa) und Traubenkirsche (weiß), sowie ein Rhabarberblüten-Sirup geliefert. Drei der Rhabarber sollten in Zucker gewälzt und für 5 min bei 170° im Ofen geschmort werden. Wir haben sie deutlich mehr als 10 min bei 180° drin gelassen, vorher waren sie noch arg roh. Diesen Part hat nämlich schon der vierte Stängel übernommen, der roh in Scheiben geschnitten serviert wurde. Der Jogurt sollte mit der Melasse abgeschmeckt, die Blüten im Sirup mariniert werden. Für das Foto haben wir Melasse und Sirup nur als Hingucker eingesetzt, zum Essen dann deutlich nach oben geschraubt. Trotzdem waren die Blüten nicht wirklich lecker… Die Traubenkirsche ist sehr aromatisch, hat aber ein bisschen was von Parfüm im Mund. Die Zierkirsche war recht bitter. Mag sein, dass sie Donnerstag oder Freitag besser gewesen wären als erst am Montag, das lässt sich natürlich leider nicht mehr feststellen. Alles in allem müssen wir zum Dessert sagen: War gut, aber am Ende halt gesüßter Jogurt mit Rhabarber und etwas Honig-Knusper durch die Pollen. Optisch dagegen definitiv ein Lieblings-Foto. Der Rhabarber ist übrigens nicht gemogelt, der hatte wirklich diesen perfekten Farbverlauf.
Fazit
Insgesamt hatten wir viel Spaß mit der Box, die Kreativität konnte sich in der Interpretation der Gerichte austoben. An dieser Stelle auch vielen Dank an meine Lieblings-Mitbewohnerin, -Mitköchin und -Foodstylistin fürs Mitbasteln! ❤️ Geschmacklich waren einige große Highlights dabei, einige „passt schon“-Momente auch. Negativ aufgefallen ist definitiv nichts. Mengenmäßig waren die fünf Gerichte mehr als ausreichend für zwei Personen, wir hatten es ja sogar auf zwei Abende aufgeteilt. Wobei das natürlich in der Hand der Köche liegt, man bestimmt ja selbst die Größe bei diesem Konzept. Insofern geht der Preis auf jeden Fall in Ordnung, so günstig kommt man so schnell jedenfalls nicht wieder an Essen aus dem Sosein. Die eigene Arbeitszeit natürlich nicht eingerechnet. 😉
Anmerkung: Wir haben die Box voll bezahlt, selbst abgeholt, und auch keine Verbindung zum Sosein. Dieser Post ist keine Werbung, sondern ein Bericht über unser Menü und eine Gelegenheit, mal wieder ein paar Essensfotos zu machen.
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